Die Halle der Erinnerungen
 
Ihr erinnert euch sicher an die schöne, mehrteilige Geschichte um Waldwichtel Danny und die Baumdrachen. In unserer letzten Ausgabe haben wir dazu passend die Bastelanleitung zu Traumflugmasken geliefert. Diesmal nun gibt’s einen Nachschlag der Geschichte…

Danny reiste regelmäßig zu seinem Freund Mù, der unter dem Goldlärchenbaum zuhause war. Und es war jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis. Der Stamm der Amabilis unterschied sich in so vielen Dingen von seinem eigenen Wichtelstamm. Man merkte, dass sie zwei vollkommen verschiedenen Völkern angehörten. Einmal konnte Danny sogar die Halle der Erinnerungen besuchen – einem Ort, den im Grunde nur der große Weise und der Drachensucher betreten durften. Aber im Grunde war Danny ja auch so etwas wie ein Drachensucher. Denn schließlich hatte er Mù bei seiner großen Suche geholfen.
Mit großen Augen stand Danny vor der alten Wurzelhöhle. Die schwarze Färbung ließ den Eingang irgendwie unheimlich erscheinen. „Und hier geht’s wirklich in die Halle der Erinnerungen?“, wollte der kleine Wichtel wissen. Dabei blickte er seinen Freund unsicher an. Mù lachte: „So ängstlich, mein Freund?“ Dabei stupste er ihn an der Schulter freundschaftlich an. „Und das von einem, der auf einem Baumdrachen durch die Lüfte reitet.“
Langsam gingen die beiden in die Höhle hinein. Es wurde immer dunkler und dunkler. Dann schalteten sich ihre Augen von Tagschauen in Nachtschauen um – eine Gabe, die sie mit einigen Tieren gemeinsam hatten. Auf diese Weise konnten die Wichtel auch bei starker Dunkelheit und in der Nacht gut sehen. „Wow!“, staunte Danny, als er all die verschiedenen Dinge an den Wänden hängen sah. Da gab es Ästchen und Wurzelstücke, die aussahen, wie kleine Monster und Kobolde. Aber auch viele, bunte Masken gab es. Große und kleine. Manche hatten Ähnlichkeiten mit Gespenstern, andere wirkten wie ein einziger, großer Lachmund. Auch jene Masken waren aufgehängt, die Danny damals beim großen Traumflugfest gesehen hatte. Sie waren die größten Masken von allen und sahen durch ihre rote und schwarze Färbung sehr eindrucksvoll aus. Auch jetzt noch überkam den kleinen Wichtel ein Schauer nach dem anderen. Diese Masken hatten irgendetwas, was sich der Kleine nicht so recht erklären konnte.
Mù beobachtete seinen Freund. „Du hast Recht“, begann er, „diese Masken hier sind einzigartig und haben für uns und die Drachen eine sehr große Bedeutung.“
Danny bekam große Augen. „Kannst du mir darüber mehr erzählen?“
„Gerne! Ich selbst kenne die Geschichte auch erst seit kurzem. Der „große Weise“ hat sie mir einige Tage nach dem großen Frühlingsfest erzählt. Und ich musste die Geschichte Wort für Wort auswendig lernen. Denn sie gehört zu den wichtigsten Erinnerungen, die wir Goldlärchenwichtel besitzen.“
So setzten sich die beiden Freunde und Mù begann zu erzählen. Dabei gab er sich sehr viel Mühe: Vor sehr, sehr langer Zeit, lange bevor hier die Sämlinge unseres Waldes aufgekeimt waren, und lange bevor die Menschen über den Erdboden gelaufen sind, hat sich diese Geschichte ereignet. In jenen Tagen gingen sich das Volk der Baumdrachen und Waldwichtel noch aus dem Weg. Sie wussten nichts voneinander und fürchteten sich auch voreinander. Doch irgendwann fand einer unserer Ur-Ur-Urväter Ló einen Baumdrachen, der verletzt am Boden lag. Vorsichtig näherte sich der Wichtel dem Drachen. Auf seinem Rücken klaffte eine große Wunde. Unserem Ur-Ur-Urvater tat der Drache leid und wollte ihm helfen. Aber wie? Zum Glück befanden sie sich unter einem Lindenbaum, der von vielen hunderten Feuerwanzen bewohnt war. Der Häuptling der Feuerbrüder – so nennen sich die Feuerwanzen selbst – kam auf die beiden zu und erklärte: „Wir können dem Drachen helfen, aber dazu müsstet ihr seinen Kopf festhalten, damit er uns nicht fressen kann.“ So ging Ló zu seinem Stamm und bat einige der kräftigsten Wichtel um Hilfe. Es war gar nicht so einfach den Drachen ruhig am Boden fest zu halten. Trotz seiner Verletzung hatte er noch viel Kraft. Aber die Wichtel schafften es schließlich und so legten die Feuerbrüder los. Sie krabbelten in die Nähe der Wunde und spritzen eine dunkle, stinkende Brühe aus ihrem Körper darauf. Das machten sie einige Tage lang und die Wunde wurde dabei immer kleiner und kleiner. Bald schon war der Drache wieder gesund. So kam es, dass sich die Stämme der Baumdrachen und Goldlärchenwichtel anfreundeten. Und immer wenn einer von ihnen oder von uns verletzt wurde, baten wir die Feuerwanzen um Hilfe. Denn diese Flüssigkeit, die sie zum Vertreiben ihrer Feinde produzieren, tötet auch krankmachende Bakterien ab und wirkt also heilend auf unsere Körper.
Danny hatte gespannt zugehört: „Das war wirklich eine tolle Geschichte. Kein Wunder, dass ihr die Rückenverzierung dieser Tierchen auf eure Masken malt.“
 
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